Ein Loblied auf das Nickerchen
von Mariya

John William Waterhouse, Public domain, via Wikimedia Commons
„Wie wirst du heute nutzlos für den Kapitalismus sein?“
Dieser Satz grüßte mich in großen, ruhigen Buchstaben als ich das erste Mal auf die Seite der Nap Ministry ging. Es ist das Projekt von Tricia Hersey, die unter dem Motto „Rest is Resistance“ den Schlaf - vor allem für die schwarze Community - aus der kapitalistischen grind culture befreien will. In einer Zeit, in der die Selbstausbeutung und Schlaflosigkeit zu Tugenden hochstilisiert werden, kämpft sie mit ihrem Projekt dafür, Schlaf und Ruhe, vor allem mitten am Tag, als gelebten Widerstand zu praktizieren. Dabei geht es um viel mehr als nur Nickerchen, denn sich das Ausruhen zurückzuholen ist lediglich der erste Schritt darin, sich vom System zu befreien und vor allem für schwarze Menschen relevante, intergenerationale Traumata aufzuarbeiten und schlichtweg zu heilen.
Für viele von uns ist die Vorstellung, mitten am Tag schlafen zu gehen, im besten Falle befremdlich. Abseits eines Verantwortungsgefühls gegenüber der Arbeit und dem hellen Tag schwebt dabei auch die seltsame Assoziation mit dem obligatorischen Mittagsschlaf von Kindern in der Kita1 mit. Dabei wurde uns doch, seitdem wir in irgendeiner Art produktiv sein konnten (sprich mussten), immer wieder eingetrichtert, wir sollen den Tag nutzen: Carpe Diem, das Leben ist kurz, Schlafen kann ich, wenn ich tot bin, der frühe Vogel fängt den Wurm. Bei all dem wird suggeriert, dass Schlaf im Grunde vergeudete Zeit ist. John Crary beschreibt in seiner Studie „24/7 – Schlaflos im Spätkapitalismus“ eindrücklich, woher die moderne Schlaffeindlichkeit kommt: Während wir schlafen, erleben wir nichts, arbeiten nicht, konsumieren nicht, kommunizieren nicht. Im Zeitalter zunehmender Überwachung und ständiger Reize ist der Schlaf ein Hort des privaten, an welches (noch) kein Zugriff gefunden wurde und an dem mehr als überall sonst noch gilt, dass die Gedanken frei sind.2
Dabei ist die moderne Ruhefeindlichkeit besonders schwer für marginalisierte Gruppen. In der Hyperfokussierung auf die individuelle Leistung wird sehr oft das Narrativ hergestellt, dass es den Besten unter uns nichts ausmacht, wenn das System gegen sie ist. Diese Vorstellung findet Einzug in dem, was die Schriftstellerin und Künstlerin Constance Collier-Mercado als eine Indoktrination zu Hustle Culture in schwarzen Communities beschreibt3: Um in einer weiß-dominierten Gesellschaft Erfolg zu haben, müssen BiPoC Menschen mehr leisten, sie müssen hustlen, um aus der Unterdrückung zu kommen. Diesen Mythos der individuellen Stärke & Verantwortung gegenüber systemischer Ungleichheit findet man auch im Mainstream des (post-)feministischen Diskurses wieder. So schreibt Laurie Penny von dem „Meine Mutter war eine starke Frau“-Mantra, welches Frauen*, die ihr Leid aussprechen, suggeriert, dass sie einfach nicht stark genug sind. Damit wird die Ermüdung, die davon kommt, die Last von struktureller Diskriminierung zu tragen, als persönliches Versagen und Schwäche konstruiert, anstatt als das betrachtet zu werden, was sie wirklich ist: Eine gesunde, natürliche und richtige Reaktion auf feindliche Lebensumstände. Wenn wir aufhören, unser Bedürfnis nach Ruhe zu invalidieren oder gar zu verleugnen, können wir die Gründe für diese Müdigkeit besser verstehen. Damit schaffen wir gleichzeitig einen Raum, in dem man sich verletzlich (müde) zeigen darf und gemeinschaftliche Unterstützung möglich wird. Ein erster Schritt zur Revolution hin.
Es ist nichts falsch daran, produktiv sein zu wollen und Dinge tun zu wollen. Aber es hilft, sich die Fragen zu stellen: Warum, wofür und für wen bin ich gerade produktiv?4 Bin ich noch ausgeglichen und innerhalb meiner Energiereserven? Musste ich diesem Bus wirklich hinterherrennen, die Deadline wirklich so knapp setzen, die Wohnung wirklich so sauber halten und zu dem Projekt wirklich ja sagen?
Diese Art von Ruhe können wir übrigens hervorragend von unseren vierbeinigen Freunden lernen, denn Katzen sind die Meister des Nickerchens: Die schlafen ca. 18 Stunden am Tag, und wenn sie nicht gerade in jeder gemütlichen Ecke vor sich hindösen, rollen sie sich faul in der Sonne rum oder laufen über noch so eine vielgenutzte Laptop-Tastatur.
Um unser „Versagen“ der Deutungshoheit des Kapitalismus zu entziehen, helfen also nicht nur Nickerchen. Nächstes Mal, wenn jemand sagt, dass er_sie so faul und unproduktiv war, sich schlecht konzentrieren konnte, getrödelt hat und Zeit verschwendet hat – einfach mal mit „Gut gemacht“ antworten. Und dann gemeinsam ein Schläfchen machen.
-
Was für uns als Kinder eine Pflicht war, ist als Erwachsene ein Privileg. Eines, dass wir uns womöglich zurückerobern sollten und damit auch unserem inneren Kind näher kommen. ↩︎
-
„Der Schlaf in seiner tiefen Nutzlosigkeit und Passivität, mit den von ihm verursachten, unkalkulierten Verlusten in der Zeit der Produktion, Zirkulation und Konsumtion, wird mit den Ansprüchen einer 24/7-Welt stets kollidieren. Der gewaltige Teil unseres Lebens, in dem wir schlafen, befreit von einer Vielzahl vorgespiegelter Bedürfnisse, besteht als eines der großen menschlichen Ärgernisse für die Gefräßigkeit des heutigen Kapitalismus fort.“ (J. Crary in 24/7) ↩︎
-
“It’s always been my Black and brown counterparts and friends talking about you have to hustle to get over the system, to get past the hurdles. You have to grind because nobody’s going to wait for you, nobody’s going to give you a minute to catch your breath,” she says. “Unlike people who have money and a safety net, [for us] there is no safety net. But why are we the ones who don’t have the luxury? Where does that idea of laziness come from?” ↩︎
-
Der letzte Teil der Frage ist vor Allem mit dem erhöhten Aufkommen von sog. „Bullshitjobs“ relevant. (David Graeber) ↩︎